Stadt Worms Haushaltsrede 2.12.2020 Katharina Schmitt

Haushaltsrede 2.12. 2020         Katharina Schmitt      B90/Grüne

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,

zunächst ein persönliches Wort an die Kämmerei, danke für dieses umfangreiche Werk, die Arbeit dahinter, dass Sie das Menschenmögliche tun, um unsere Finanzen im Griff zu behalten und uns immer für alle Fragen zur Verfügung stehen. Sie halten nicht nur die Stadt am Laufen, sondern schaffen auch die wesentlichen Grundlagen für demokratische Beteiligung.

Für uns stellt sich heute die Frage: Sollen wir diesem Haushaltsentwurf zustimmen?

Verantwortung übernehmen für was, was man eigentlich so wenig selbst beeinflusst? Die  Allzumenschlichkeiten eines in die Jahre gekommenen Föderalismus schultern?

Dieses Jahr hat uns bekanntlich noch ratloser zurückgelassen.

So viele unerwartete Probleme sind dazu gekommen, für so viele Menschen, die nicht wissen, wie es für sie weitergehen soll.

Üblicherweise könnten wir uns jetzt preisen, was wir hineinverhandelt haben oder zu haben glauben. Und dann zustimmen. Oder alles mies finden, was drinsteht. Und erhobenen Hauptes ablehnen.

Wir sind jahrzehntelang gewöhnt, schöne, aber teure Sachen für die Bürgerinnen und Bürger zu beschließen, und dafür bei Wahlen belohnt zu werden. Das funktioniert immer weniger.

Die finanzielle Situation der Kommunen führt auf Seiten der Politik zu sowas wie Stresstrieben:

Wir machen was, weil es grade Fördergelder gibt,

weil irgendjemand am meisten Einfluss hat, oder am lautesten fordert,

weil die Zeitung ein Bild davon bringt. Oder weil es eben grade noch geht.

Wie kann man Kommunalpolitik machen, wenn man eigentlich nur noch über ein Taschengeld aus freiwilligen Leistungen entscheiden kann? 

Ich glaube, unsere Aufgaben hier werden immer anspruchsvoller.

Wir müssen besser werden.

Auch mitten in der Pandemie, auch 2021 müssen wir also an Strukturen mindestens soviel wie an Inhalten arbeiten.

Das heißt zum Beispiel:    Investitionsbegriff neu definieren

Wir wollen Investitionen, die den Namen verdienen: Die in der Zukunft nicht Kosten verursachen, sondern Gewinn bringen, zum Beispiel an Bildung, an Klimaschutz, an Gerechtigkeit, an Vielfalt, an Lebensqualität.

Wir investieren noch zu viel in eine Verkehrsinfrastruktur, die gestern schon falsch war und morgen noch falscher ist. 

Wir brauchen klarer als bisher Alternativen zum motorisierten Individualverkehr.

Vor 42 Jahren gab es die erste Weltklimakonferenz.

Als ich im Kindergarten war, kämpfte meine Mutter, die jetzt 90 wurde, für eine fußgängerfreundliche Innenstadt und hatte genau mit denselben Problemen zu kämpfen wie wir heute.

Inzwischen haben wir x Gutachten, Beauftragte, Aktionspläne, das ist alles richtig.

Wir wissen aber eigentlich, was zu tun ist.

Begrünung in der Stadt, Bäume, Fußgänger- und Fahrradfreundliche Wege, Tempo 30, kundenfreundlicher ÖPNV. Tun wir es endlich.

Ich habe vorher von Stresstrieben gesprochen. Ein Stresstrieb ist, dass wir statt zu investieren, dazu neigen, Tafelsilber zu verscherbeln.

Wem gehört die Stadt – Wem wird die Stadt morgen gehören?

Die zunächst günstig und händelbar scheinende Methode, sanierungsbedürftige Immobilien zu verkaufen und zurückzumieten, ist zu prüfen. Da Investoren Geld verdienen müssen, kann so etwas vermutlich höchstens vorübergehend finanziell sinnvoll für die Stadt sein.

Eine zukunftsfähige Stadtentwicklung im Auge zu haben, heißt: Zum Beispiel durch eine aktive Bodenpolitik der Stadt Flächen in öffentliche Hand zu bringen oder zu halten, Spekulation zu verhindern, damit Preissteigerungen zu bremsen – und Wohnen bezahlbar und vielfältig zu machen.

Vor allem müssen wir investieren in die passgenaue Bildung von Kindern und Jugendlichen. Dabei bildet leider nicht alles, was Bildung heißt. Und das heißt wiederum: unterschiedliche Akteure, unterschiedliche Konzepte, unterschiedliche Menschen  im Blick haben. 

Schuldigitalisierung: Internetzugang in den weiterführenden Schulen (auch Berufsschule) muss Vorrang haben. Freier Zugang zu Informationen ist eine Frage der Demokratie, der Bildungsgerechtigkeit und der Lebenswirklichkeit.

Richtig investieren heißt bekanntlich auf Auswirkungen zu sehen: Das betrifft das Thema Lebenszykluskosten, aber auch zum Beispiel ein kleines unbedeutend scheinendes Feld zum Ankreuzen in jeder Beschlussvorlage, nämlich: Welche Auswirkungen hat der Beschluss auf den Klimaschutz? Und wenn da „negativ“ steht, muss man halt schon zweimal erklären, warum man das trotzdem braucht.

An Strukturen arbeiten,  das heißt: Zusammenarbeiten

…mit der Verwaltung

Es ist unser Job, kritisch zu sein. Gleichzeitig sind wir abhängig von Ihrer Sachkenntnis und Ihren Antworten.

Wir können nicht ewig jährlich 70 neue Stellen beschließen. Je mehr es werden, desto mehr braucht man.

Nach Subsidiarität zu fragen, nach Aufgaben, die es so nicht mehr gibt, nach Effizienz, das ist an uns.

Aber genau so gehört dazu die Frage nach Ihren Arbeitsbedingungen.

Auch bei uns arbeiten z.B. deutlich mehr Frauen im gering dotierten Bereich. Daran haben sich alle gewöhnt. Wir müssen Arbeit aber so bezahlen, dass jede und jeder von jedem Job leben kann.

Zusammenarbeiten müssen wir vor allem auch…mit den Bürger*innen:

Ehrenamt, auch kritisches, ist ernst zu nehmen. Bürgerwissen muss nutzen können. Wenn Sie was planen, fragen Sie bitte zuerst die Leute, die nachher damit zu tun haben.

Beispielhaft zu loben ist die Zusammenarbeit in der Projektgruppe Radwege.

Beim Mobilitätskonzept brauchen wir aber eine aktivere und viel frühere Einbeziehung der Verbände. Nicht erst, wenn alles quasi fertig ist.

Gleiches gilt für den ÖPNV. Es ist kaum zu glauben, dass wir immer noch keinen Fahrgastbeirat haben, und dass dies an einer unbesetzten Stelle hängen soll, die es vorher gar nicht gab.

Menschen, die uns in den Rat gewählt haben, erwarten zu recht, dass wir sie informieren.

Da reicht das, was wir uns in Unmengen von Freizeit irgendwo zusammensuchen und drei Anfragen pro Stadtratssitzung sicher nicht aus. Menschen fragen uns, und wir brauchen Antworten. Das dauert für alle Beteiligten, auch für Sie in der Verwaltung, derzeit zu lange.

Kennen Sie das Ein-Euro-Spiel?  Dabei liegt ein Euro offen, aber unauffällig im Zimmer. Wer ihn sieht, setzt sich und sagt nichts. Bis alle sitzen. Der letzte hat verloren.

Ähnlich geht es mancher Wormserin mit Informationen. Direkt geheim sind sie nicht, aber man findet sie auch nicht.

Hier brauchen wir eine Weiterentwicklung des Ratsinformationssystems, vor allem im Bereich Recherche, um zB unsere Anfragen zu verschlagworten.

Digitalisierung muss allgemein zu mehr Transparenz, mehr Beteiligung führen.

Dabei sind bekanntlich Prozesse, nicht Dokumente zu digitalisieren. Da müssen wir hin.

Unser Ziel ist eine Open Data-Kultur:

Daten, die nicht besonderem Schutz unterliegen, die mit dem Geld der Bürger*innen erhoben werden und in deren Auftrag, müssen zugänglich und nutzbar werden. Und zwar schnell und einfach und für jeden. Das betrifft fast alle Bereiche der Verwaltung, auch den Kernhaushalt.

Auch in den Beteiligungen müssen zumindest größere Posten öffentlich diskutiert werden. Die zukünftige Rolle der Stadt Worms Beteiligungs GmbH war ein wichtiges Thema in diesem Jahr. Wir haben da zusammen gute Ergebnisse erzielt, aber nach wie vor ist es problematisch, dass Teile öffenlticher Ausgaben sich im privatwirtschaftlichen Gewande dem Blick der ja inzwischen aus gutem Grund öffentlichen Ausschusssitzungen entziehen. 

Auch das gehört wahrscheinlich zu den Stresstrieben der angespannten finanziellen Situation. 

In Zeiten drohender Entfremdung zwischen einem Staat, der mehr eingreifen muss, und seiner Bürgerschaft ist jeder Kontakt wertvoll.

Vielleicht schaffen wir’s  ja auch mal mit dem Livestream. Wir müssen jetzt die Möglichkeit digitaler Gremiensitzungen bereitstellen. Dass Sitzungen einfach ausfallen, ist auch hier der Katastrophenmodus, aus dem wir sofort raus müssen und können. 

Dazu brauchen wir nicht nur Verwaltung, sondern auch unsere aktive Mitarbeit.

Wir schauen verständlicherweise auf die Ausgaben im Sozialhaushalt. Ja, wir brauchen Gegenfinanzierung. Aber sind das wirklich „nur“ Pflichtaufgaben? Das würden wir doch schon auch „freiwillig leisten“:

Wohnraum zur Verfügung stellen,

Für Menschen mit Beeinträchtigungen Teilhabe ermöglichen

Beratung schaffen, damit Leute nicht in Bürokratiedschungeln verzweifeln

Geflüchtete aufnehmen

Kindern einen guten Start schaffen

Hinter diesen Zahlen stehen Menschen. Solche, die bezahlen, solche die was bekommen müssen. Mit allen müssen wir so viel Kontakt wie möglich suchen. 

Gebende wie Nehmende dieses Haushaltsentwurfs brauchen Rahmenbedingungen: Vielfältig beteiligungsorientiert, rechtssicher, aber auch korrigierbar. 

Zusammenarbeiten müssen wir natürlich… mit dem Land 

Bei uns ist Basis bekanntlich Boss. Das gilt auch für die Kommunikation mit dem Land Rheinland-Pfalz, (das übrigens finanziell ähnlich dasteht wie die Stadt).

Es gehört zu unserer DNA, auf die unterste Ebene zu hören und natürlich über bedarfsgerechte Mittelzuweisung und Konnexität zu reden. 

Kommunen müssen gg. Bund besser vertreten sein. Die Finanzierungsstruktur der Kommunen mit ihren Abhängigkeiten zB von der Gewerbesteuer muss immer wieder auf den Prüfstand.

Natürlich sind wir gespannt auf Urteil zum Kommunalen Finanzausgleich am 16.12..

Das betrifft bei uns immerhin ca bisher 62 mio Euro, die Zuweisungen sind, das muss gerechterweise gesagt werden, spürbar gestiegen in den letzten Jahren. Neue Schlüsselzuweisungen sind dazugekommen. Der KEF wirkt mit ca 10 mio jährlich. Unsere Situation wird wahrgenommen, und auch die Bedeutung der Kommunen.

Landespolitiker*innen sind meist auch Kommunalpolitiker*innen.

Das muss auch so bleiben.

Klar ist: Auch Kommunen sollen sich wissenschaftlicher Begutachtung stellen, anstatt bei Reformvorschlägen in Abwehrreflexe zu verfallen.

Apropos: Zusammenarbeit mit anderen Kommunen

Das müssen wir ausbauen, nicht nur im Bezug auf gemeinsame Gewerbeflächen. 

Echte Digitalisierung würde Zuständigkeiten ja wirklich ganz neu verteilen. Mehr Ansprache im Stadtteil wird zukünftig angesichts des demografischen Wandels noch wichtiger. Aber Anträgen auf der Internetseite ist es egal, wie weit ihr Weg ist.

Wir brauchen auch vergleichbare Haushaltsstrukturen, um Kennzahlen und Best Practice besser zu nutzen. Vieles, was hier erstmal scheinbar nicht geht: Das geht eben schon dort.. 

Radwege, Lastenradförderung, Kommunaler Zwischenerwerb, Baugemeinschaften, Energiegenossenschaften, Offener Haushalt, Beteiligungsformate, Open Data – alle Räder sind schon erfunden!

Dieser Haushaltsplan, an dem wir vieles kritisieren und der einige Beschlüsse umsetzt, die ohne unsere Stimmen gefasst wurden: 

Unsere Zustimmung oder Ablehnung hängt vielleicht nicht davon ab. 

Wir glauben daran, dass Menschen klug agieren können, wenn wir bereit sind, die Rahmenbedingungen immer wieder zu verbessern. 

Wir versuchen dauernd, zusammen mit Ihnen allen dafür die richtigen Fragen zu stellen und Vorschläge zu finden. Vielen Dank.

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